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Förderung für
den Waldbesitz

Neue Ausrichtung des Waldschutzes im Klimawandel?

06.12.23Waldblatt

Dr. Mathias Niesar geht nach mehr als 30 Jahren in der nordrhein-westfälischen Forstverwaltung in den Ruhestand. Er leitete bis November 2023 das Team Wald- und Klimaschutz des Zentrums für Wald und Holzwirtschaft von Wald und Holz NRW. In seinem Bericht fasst er die aktuellen Herausforderungen und Möglichkeiten des Wald- und Klimaschutzes zusammen.

Krankenkassen tun sich leicht, Arzt- und Arzneimittelkosten für kranke Menschen zu übernehmen. Bei der Prävention fällt Ihnen dies erheblich schwerer. Nicht so in der Pandemie. Die Impfung gesunder Menschen war Prävention, war Vorbeugung mit tollen Erfolgen. Wie ist das beim Wald? Was macht den präventiven Waldschutz im Klimawandel aus? Das sind die Werkzeuge:

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1. Standortgerechte / standortsheimische Baumartenwahl

Mit die wichtigste Vorbeugemaßnahme ist die standortgerechte und in Schutzgebieten, die standortsheimische Baumartenwahl. Das Anbaurisiko der Fichte stieg von weniger als 20 % in den 1980er und 90er Jahren auf aktuell 78 %. Das ist ein Problem der fehlenden Standortgerechtigkeit. Aber auch das Risiko der Buche hat sich in diesen Zeitraum verdoppelt. Es muss davon ausgegangen werden, dass es im Klimawandel gleichgültig ist, welche Baumarten wir wählen, ein Restrisiko verbleibt stets. Insofern muss die Risikominimierung das Ziel sein. Das wird durch die Auswahl mehrerer Baumarten ermöglicht, die in Gruppen eingebracht werden müssen, um interspezifische Konkurrenzen und damit Vitalitätsverluste zu verhindern. Das Wiederbewaldungskonzept und das Waldbaukonzept der Landesforstverwaltung NRW sind die Werkzeuge dafür. Hierbei wird auch die sogenannte Standortdrift berücksichtigt, die vorwegnimmt, wie sich der Wasserhaushalt unserer Waldstandorte im Klimawandel entwickelt (siehe auch www.waldinfo.nrw.de).

2. Nutzung von Vorwäldern

Auf Kahlflächen entstehen Gefahren durch Frost und Hitze, durch verdämmende Vegetation und durch Mäusefraß. Vorwälder mit Pionierbaumarten helfen diese Gefahren zu minimieren.

3. Mischwuchsregulierung

Auf vielen aktuellen Kahlflächen werden sich, wie schon nach Kyrill, Baumarten natürlich etablieren, die als nicht standortgerecht, als nicht klimastabil und somit als nicht nachhaltig vital und anfällig für Krankheiten und Schadorganismen einzustufen sind. Hier müssen die mittels www.waldinfo.nrw.de gefundenen potentiellen Baumarten der Zukunft gezielt gefördert werden. Sollten sich, zum Beispiel wegen fehlender Samenmutterbäume, keine standortgerechten Baumarten etabliert haben, wäre die Bestockung gegebenenfalls als Vorwald zu nutzen, und die gewünschten Baumarten müssten nachgepflanzt werden.
 

4. Erhöhung der Waldökosytemresilienz

Es ist in vielen Fällen davon auszugehen, dass Schadorganismen (vor allem Insekten und Pilze) mehr von Klimawandel profitieren als deren Wirte, unsere Waldbäume. Intakte Waldökosysteme mit unterschiedlichen Baumarten und mit funktionierenden Waldinnen- und Waldaußenrändern sind grundsätzlich stabiler und besser gegen Kahlfraßereignisse gewappnet als geschädigte Ökosysteme. Eichenbestände sind Paradebeispiele dafür. Von entscheidender Bedeutung dabei ist die nachhaltige Sicherung von Blühflächen für Schlupfwespen, die den Nektar der Blütenpflanzen als Nahrungsgrundlage benötigen. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann zum Beispiel das Team Wald- und Klimaschutz aus dem Zentrum für Wald und Holzwirtschaft durch Zucht und Aussetzung von speziellen Schlupfwespen quasi eine „Impfung“ der Waldökosysteme vornehmen und so die Resilienz von Eichenbeständen erhöhen.

5. Verwirrmethode

Eichensterbenswellen werden durch eine Kombination von mehrjährigem Kahlfraß durch Schmetterlingsraupen und durch zusätzliche Faktoren (Frost, Mehltaubefall, Schwammspinner- und/oder Eichenprozessionsspinnerfraß) ausgelöst. Der Kahlfraß könnte durch das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln mittels Hubschrauber gestoppt werden (siehe auch Punkt 7). Eine probate Alternative könnte der Einsatz von artspezifischen Sexuallockstoffen sein. Bei dieser Methode werden die männlichen Falter einer hohen Dosis der Lockstoffe ausgesetzt. Sie werden dabei so stark verwirrt, dass sie die weiblichen Falter nicht mehr finden. Die Population des Schadorganismus wird damit eingedämmt. Diese Methode wird aktuell zur Eindämmung des Eichenprozessionsspinners in Nordrhein-Westfalen untersucht.

6. Waldwassermanagement

Leiden die Bäume unter Wasserstress, werden sie leichte Beute von Gegenspielern, wie dies bei der Fichte in den letzten Jahren schmerzlich zu sehen war. Ohne Wasser gibt es auch keine Photosynthese, gibt es für die Bäume keine Abwehroptionen. Es wird auch weder Sauerstoff produziert sind, noch wird CO2 der Luft entzogen. Maßnahmen des Wassermanagements:
a) Erhaltung des Bestandesinnenklimas und Minimierung von Aushagerungserscheinungen durch dauerwaldartige Waldbewirtschaftung und nachhaltige Pflege von Waldrändern (siehe auch Punkt 4).
b) achtsam geführte Durchforstungen (z. B.: früh, mäßig, oft)
c) eine Verhinderung des Wasserabflusses auf Walderschließungslinien in gebirgigen Regionen, eine Verlängerung der Wasserverweildauer in den Beständen (z. B. partielles Verschließen von Entwässerungsgräben oder Anlagen von Kolken)
d) Erhöhung der Bodeninfiltrationsrate (z. B. durch Minimierung von Bodenverdichtungen – ausschließliches Befahren des Waldes auf im Abstand von 40 m liegenden Feinerschließungslinien)
e) Belassen von liegenden und stehendem Totholz – dürfte sich kurz- oder mittelfristig positiv auf den Wasserhaushalt auswirken – Untersuchungen wurden in 2023 begonnen.
 

7. Pflanzenschutzmitteleinsatz als Ultima Ratio

Der Einsatz von Pflanzenschutzmittel wird auch zukünftig, wegen der Beeinträchtigung von Nichtzielorganismen, nur als Ultima-Ratio-Maßnahme im Zuge von integrierten Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt werden. Der Einsatz mit Hubschrauber wird ausschließlich dann in Erwägung gezogen, wenn die Bestände in ihrer Existenz bedroht sind.

8. Erweitertes Waldvitalitätsmonitoring

Dringend geboten ist es, die Waldvitalität intensiver zu überwachen. Hier sind die bewährten Erhebungen zu erweitern. Der neue Weg eröffnet die Möglichkeit, Datenkombinationen aus der klassischen, terrestrischen Waldvitalitätsansprache (Nadel- und Blattverluste; Kronenvitalitätsaspekte, Zuwachs) und den Informationen aus dem Drohnenflug, die mittels Thermal- und Multispektralkamera erhoben werden, einschließlich der in den Beständen etablierten Klimamessstationen (Luft- und Bodenfeuchtigkeiten, Luft- und Bodentemperaturen, Windgeschwindigkeit und -richtung, Globalstrahlung, Niederschlag) durchzuführen, um die Dynamik der Waldvitalität besser zu verstehen und um daraus Konsequenzen und Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.

9. Bildung von Waldschutzsolidargemeinschaften

Was können wir aus den zurückliegenden Jahren lernen? In den letzten fünf Jahren ereignete sich die schlimmste Kalamität, die den nordrhein-westfälischen Wald seit Menschengedenken ereilte.  In erster Linie war die Fichte, mit 47 Mio. FM „Schadholz“ (ca. 60% des Vorrates aus 2017) betroffen. Als Ursache ist ein Zusammenspiel aus extremen Wetter- und Witterungsereignisse und einer vorher in unserem Land niemals beobachteten Borkenkäfermassenvermehrung zu nennen. Die abiotischen Aspekte waren Stürme, hohe Temperaturen (Hitze) und lange Trockenperioden. Die Ursachen dieser Witterungsextreme sind in der menschengemachten Veränderung des Klimas zu sehen.

In einer vorher nie gekannten Geschwindigkeit und Dichte entwickelten sich Buchdruckerpopulationen. Aus 3,1 Mio. FM Windwurf- und Käferholz im Jahr 2018 wurden 2019 bereits 15,6 Mio. FM. Bei einer jährlichen und landesweiten Aufarbeitungskapazität von 6 Mio. FM ergaben sich 9 Mio. FM nicht aufgearbeitetes und mit bis zu 60.000 Käfern pro Baum besetztes Restholz im Wald. Überschlägig verblieben also ca. 540 Mrd. Käfer im Wald zurück. Und diese machen, was sie gut können, nämlich im Folgejahr gesunde Fichten letal attackieren. Wenn auch in vielen Bereichen eine Dichtezunahme natürlicher Gegenspieler festzustellen war und Försterinnen und Förster und Waldbesitzende bis an die Leistungsgrenzen versuchten, der Kalamität Herr zu werden, ging die Kalamität in vielen Bereichen erst dann zurück, als keine Fichten mehr vorhanden waren. Überall dort aber, wo sich Waldbesitzende zu Waldschutzsolidargemeinschaften zusammenschließen konnten, wurden erheblich weniger Bäume frisch befallen als in vergleichbaren benachbarten Gebieten. Die Mindestgröße für solche Zweckgemeinschaften sind 1.000 ha, besser wären 3.000 ha zusammenhängende Waldareale. In Realteilungsgebieten, wo hierzu hunderte von Waldbesitzende „unter einen Hut gebracht“ werden müssten, ist dies unmöglich. In solchen Fällen ist jetzt die Gründung von Waldgenossenschaften ein möglicher Weg, um schlagkräftig zu werden. Denn der Klimawandel und die negativen Folgen für den Wald werden noch an Fahrt zunehmen.

10. Globalisierung

Baumarten aus anderen biogeografischen Regionen in unsere Ökosysteme einzubringen, ist sinnvoll. Dies sollte aber nur auf einem kleinen Bruchteil der Flächen verwirklicht werden, da die erhebliche Gefahr besteht, dass Schadorganismen aus den Ursprungsländern durch den exorbitant hohen weltweiten Warenhandel verschleppt werden und erhebliche Schäden verursachen. Bei der Douglasie hat sich dies bereits gezeigt, da sich neben den Nadelpilzen nun auch die Douglasiengallmücke etabliert hat.

Klimaschutz = Waldschutz

Beim Waldsterben 1.0 in den 1980er Jahren war der „Saure Regen“ die Ursache dafür, dass die Wälder fast kollabierten. Durch eine konsequent umgesetzte europäische Luftreinhaltepolitik konnte dies abgewendet werden. Waldsterben 2.0, das durch den menschengemachten Klimawandel ausgelöst wird, ist ein weltweites Problem. Wir alle tun zu wenig. Es droht aktuell, dass irreversible Schwellen (Kipppunkte) überschritten werde. Der Klimawandel stellt die größte denkbare und bereits eingesetzte existentielle Bedrohung unserer Wälder dar. Henry Ford, der Erfinder der Fließbandfertigung im Automobilbau, sagte den Ungläubigen, den Zauderern und den Resignierenden „und trotzdem voran“.

 

Autor: Dr. Mathias Niesar, Wald und Holz NRW


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